Gregory Bateson. 2007 [1954/1955]. „Eine Theorie des Spiels und der Phantasie“. In Escape! Computerspiele als Kulturtechnik, herausgegeben von Christian Holtorf und Claus Pias, 193-207. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.

Keywords: Spieltheorie, Anthropologie, Metakommunikation, Lernprozesse

1. Worum geht es in dem Text?

In diesem Text beschreibt Gregory Bateson das Spiel bzw. das Spielen als eine bestimmte Form der Kommunikation: Metakommunikation. Dies ist eine Mitteilung, die nicht nur ihren Inhalt überträgt, sondern vor allem auf ihre Form verweist, indem sie sich selbst thematisiert. Im Gegensatz zu anderen Spieltheorien, nach denen das Spiel von der Realität abgegrenzt ist, ist das Spiel laut Bateson nicht ohne weiteres als solches von der Realität zu unterscheiden. Als Beispiel dienen Bateson Schimpansen, die er im Zoo beim Spielen beobachtet hat. Von außen erwecken diese Schimpansen zunächst den Eindruck als würden sie sich beißend durch ihr Gehege jagen. Tatsächlich deuten sie den Biss aber nur an. Ihr Biss, so folgert Bateson, ist eine paradoxe Mitteilung: Einerseits verweist sie auf einen echten Biss, weil sie wie einer anmutet. Andererseits ist sie aber kein Biss, denn die Schimpansen fügen sich keine Verletzungen zu. Was im Spiel ein Biss ist, ist in der Realität nur seine Andeutung. Dies wird durch eine dritte Mitteilung (Achtung: Medialität!), die Metakommunikation, möglich. Sie gibt an, auf welcher Seite des Rahmens, der den Biss vom Nicht-Biss unterscheidet, man sich befindet. Daraus schließt Bateson, dass dieser paradoxen Mitteilung (Biss/Nicht-Biss) eine weitere Mitteilung beigegeben wird, die sich auf den Rahmen dieser Kommunikation bezieht und sie als Spiel ausweist.

Interessanterweise nutzt Bateson dieses Modell, um auch die Kommunikation zwischen Psychotherapeut*innen und deren Klient*innen zu beschreiben. Denn in der Psychotherapie oder auch im Coaching geht es mitunter darum, sein Verhalten, seine Kommunikation mithilfe des rahmensetzenden Mediums – des/der Therapeut*in – zu ändern. Dazu muss die Kommunikation selbst thematisiert werden, es muss also Metakommunikation betrieben werden. So wird die Therapie im Bestfall zu einem ernsten und konstruktiven Spiel. 

2. Warum sollte ich diesen Text lesen? Wofür ist er hilfreich?

Batesons Text ist sehr geeignet, um die inhärente Paradoxie des Spiels zu thematisieren, ohne diese auflösen zu wollen. Er hilft dabei, den Widerspruch in Huizingas Homo Ludens (1938) zu verstehen. Huizinga betont einerseits, das Spiel sei eine Sache, die getrennt von der Realität in ihrer eigenen Zeit und im eigenen Raum stattfände. Andererseits behauptet er, das Spiel sei kulturbildend und habe dadurch sehr wohl einen Einfluss auf genau jene Realität, von der es eigentlich getrennt ist. Batesons Theorie ermöglicht es, dieses Paradox zu denken, ohne dass es unlogisch wird. Zugleich hilft sie auch, zu erkennen, dass wir in vielen Alltagssituationen spielen, da wir unsere Rollen wechseln. 

Wie die meisten anthropologischen Spieltheorien ist auch Batesons Theorie unter anderem geeignet, um das Wesen analoger Spiele zu beschreiben. Sie kann auch von Nutzen sein, um in einem Mehrspieler*innen-Computerspiel eine spielerische Handlung von einer nichtspielerischen zu unterscheiden. Wenn ich etwa im E-Sport-Titel Rocket League (2017) über die Chatfunktion toxischen Kommentaren ausgesetzt bin und beleidigt werde, dann ist das eine Kommunikation, die im Rahmen der Softwareanwendung des Computerspiels stattfindet, die aber nicht selbst spielerisch ist. Für Einspieler*innen-Computerspiele geht man davon aus, dass die Anwendung klassischer anthropologischer Spieletheorien eher eine metaphorische Projektion ist und es geeignetere Theorieansätze gibt.

3. Worauf sollte ich vor/bei der Lektüre achten?

Claus Pias’ erhellender Kommentar zu Batesons Text (im selben Band wie Batesons Text, 208-13) beschreibt die junge Kybernetik, die mathematische Spieltheorie, sowie das lange Zeit „problematische Verhältnis von Spiel (play) und Spielen (games)“ als wesentliche Einflüsse und Kontexte zu dessen Verständnis (Pias 2007, 208). Demnach sind die inhärenten Paradoxien des Spiels in Batesons Text beeinflusst von den Paradoxien in der Logik von Bertrand Russell.

Bateson zeigte im Kontext der Kybernetik, dass die logischen Paradoxien von Computern tatsächlich nur deren „Simulation als oszillierende Form von Ursache und Wirkung“ sind, weil der Computer in der Zeit operiert und nicht in der Welt der Logik (Pias 2007, 209). Gleichzeitig ermöglicht Batesons Text es auch, die Praxis der Psychotherapie zu verstehen, als „a place where the freedom to admit paradox has been cultivated as a technique“ (Pias 2007, 210). Sie erlaubt es, sowohl mögliche Züge in einem Spiel zu aktualisieren (z. B. übliche Interaktionen in einer Therapiesitzung) als auch Änderungsvorschläge zu den Spielregeln und damit den möglichen Zügen desselben Spiels zu machen (vgl. Hausregeln in Spielen oder Änderungsvorschläge, wie die Therapiesitzung zukünftig ablaufen soll). Letzteres erlaubt es, vor dem Hintergrund der absolut rationalen Spieltheorie nicht alle Handlungsmöglichkeiten als alternativlos im Rahmen der Spielregeln zu denken, sondern auch die Regeln infrage zu stellen und gegebenenfalls zu ändern. Das problematische Verhältnis von Spiel und Spielen wird schließlich dahingehend aufgelöst, dass „das Spiel (quer zu den Disziplinen) zugleich Form der Praxis und Medium der Theorie von Paradoxien ist“ (Pias 2008, 208). Spiel als praktisches Phänomen ist also das, worin sich Paradoxien zeigen – und in der Theorie ist es eine Denkmöglichkeit von paradoxen Verhältnissen. So kann etwa das Oszillieren zweier widersprüchlicher Semantiken in einer Metapher als ein Spiel beschrieben werden.

4. Bezüge zu anderen Texten

Goffman, E. (2021 [1956]). Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag (P. Weber-Schäfer, Übers.; 19. Auflage). Piper.

Bekannter als der Text von Gregory Bateson ist die sozialwissenschaftliche Rahmentheorie von Erving Goffman, „die Batesons Arbeit zwar zutiefst verpflichtet ist, sie jedoch aus dem Zusammenhang von Logik, Anthropologie und psychiatrischer Praxis herauslöst“ (Pias 2007, 208). 

Sutton-Smith, B. (1997). The Ambiguity of Play. Harvard University Press.

Der neuseeländische Pädagoge Brian Sutton-Smith untersucht in diesem Buch viele Theorien des Spielens und Spielphänomene auf ihre Ambiguitäten und Paradoxien.

Suits, B. (with Hurka, T.). (2005 [1978]). The Grasshopper: Games, Life and Utopia. Broadview Press.

Als analytischer Philosoph ist Suits zwar der Logik verpflichtet. Für ihn ist entscheidend, dass die Rahmung (die Regel) aus einer außerludischen Handlung eine ludische Handlung macht (lusory attitude). Wenn man Suits durch Batesons Augen liest, dann erkennt man Parallelen in der Gleichzeitigkeit von außerludischen und ludischen Dingen sowie dem metakommunikativen Element (bei Suits die ludische Haltung), welches die Widersprüchlichkeit dieser Gleichzeitigkeit logisch erscheinen lässt.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Sebastian Möring.