Huizinga, Johan. 2006 [1938]. Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek: Rowohlt.
Keywords: Spieltheorie, Kultur, Anthropologie, Magic Circle
1. Worum geht es in dem Text?
In Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel entwickelt der niederländische Historiker Johan Huizinga eine der bis heute einflussreichsten Kulturtheorien des Spiels. Huizingas zentrale These ist, dass sämtliche menschliche Kultur aus dem Spiel hervorgeht. In Homo Ludens wird dementsprechend nicht nur eine bis heute einschlägige Spieldefinition hergeleitet, sondern das Buch unternimmt auch einen Streifzug durch Huizingas Perspektive auf die Kulturgeschichte, vom Verhältnis von Spiel und Recht oder Spiel und Krieg bis hin zu Spielformen in Kunst oder Philosophie. Für die Rezeption in der Spielforschung sind besonders die ersten Kapitel des Buchs relevant, in denen Huizinga seine Spieldefinition formuliert, die das Spiel als ein abgegrenztes, vom ‚echten‘ Leben unterschiedenes und in einem eigenen Raum sowie einer eigenen Zeit stattfindendes Phänomen charakterisiert (9-22).
2. Warum sollte ich diesen Text lesen? Wofür ist er hilfreich?
Die Auseinandersetzung mit Homo Ludens ist unverzichtbar, um die Begriffsgeschichte zentraler Konzepte der Game Studies nachzuvollziehen. Der Zauberkreis bzw. Magic Circle des Spiels, der nicht allein dessen ideellen Ort, sondern auch seine Abgrenzung gegenüber dem Alltagsleben in einer Wendung fasst, wurde in den Game Studies zu einem kontrovers diskutierten Begriff. Er ist aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert worden, da die enge Verbindung des Spiels mit seiner Umgebung augenfällig wird, wenn man sich etwa mit dem Lernen im Spiel, mit den Communities und den Ökonomien von Online-Spielen oder auch mit grenzüberschreitendem Verhalten im Spiel und verletzender Rede befasst. Diese Phänomene sind jeweils nur dann verständlich, wenn man das Spiel als Teil der Welt und nicht als ein entrücktes Ideal begreift. Neben dem Magic Circle wird auch die von Huizinga getroffene Unterscheidung zwischen dem*der Falschspieler*in und dem*der Spielverderber*in in der Forschung aufgegriffen.
3. Worauf sollte ich vor/bei der Lektüre achten?
Homo Ludens ist in den 1930er-Jahren entstanden und geht auf eine Rektoratsrede an der Universität Leiden zurück, die Huizinga 1933 gehalten hat. Dementsprechend sind digitale Spiele nicht der Horizont seiner Untersuchung, aber auch andere, konkrete Spielformen erwähnt Huizinga selten. Seine Arbeit ist bisweilen stark durch die heute hochproblematische Positionierung der Anthropologie im 19./20. Jahrhundert als einer Wissenschaft geprägt, in der weiße, gelehrte Männer des globalen Nordens indigene Kulturen des globalen Südens zu ihren Forschungsobjekten machen. Auch im Hinblick auf ihren Idealismus ist Huizingas Spieltheorie im Kontext ihrer Zeit zu verstehen, da der Niederländer sich dem Nationalsozialismus gegenüber mindestens skeptisch geäußert hat und seine Vorstellung eines idealisierten Spiels, das der Realität völlig enthoben ist, vor dem Hintergrund der umfassenden Vereinnahmung sämtlicher Kulturformen (und des Spiels) im Nationalsozialismus zu betrachten ist.
4. Bezüge zu anderen Texten
Weiterführende Literatur:
Consalvo, Mia. 2009. „There is no Magic Circle“ In Games and Culture, Volume 4, Issue 4, 408-417.
Salen, Katie/Zimmerman, Eric. 2004. Rules of Play. Game Design Fundamentals. Cambridge, MA./London: MIT Press. Hier besonders S. 95.
Stenros, Jaakko. 2012. „In Defence of a Magic Circle: The Social and Mental Boundaries of Play“ In Proceedings of DiGRA Nordic 2012 Conference: Local and Global – Games in Culture and Society, 1-19.
Vossen, Emma. 2018. „The Magic Circle and Consent in Gaming Practices“ In Feminism in Play, herausgegeben von Gray, Kishonna L./Voorhees, Gerald/Vossen, Emma, 205-220. London: Palgrave Macmillan.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Felix Raczkowski.