Dass digitale wie analoge Spiele inhärent politisch sind, wird bereits seit längerem in der akademischen Beschäftigung mit digitalen Spielen als gesetzt angesehen. Dies äußert sich in unzähligen Beiträgen zu politischen Inhalten digitaler Spiele. Dass sie aber auch als Teil der gesellschaftlichen populärkulturellen Genese von Wissen sowohl in der Produktion, der Distribution wie auch der Konsumption in politische und gesellschaftliche Strukturen eingespannt sind, wird bisher bestenfalls in vereinzelten Studien betrachtet. Spiel(en) ist/sind ein, besonders seit 1800, von verschiedenen Diskursen und Akteuren umkämpftes Gebiet, das eingehegt, gezähmt, verdammt, gefeiert, instrumentalisiert und diskutiert wurde. Mag auch Huizingas »Magic Circle« eine Abgeschlossenheit der Spielwelt behaupten, wirkt eine solche Behauptung für das Spiel(en) als zentrale kulturelle Praxis und Artefakte paradox.
Diesem Umstand möchte der hier angedachte Sammelband entgegenwirken und zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum eine konzertierte, transdisziplinäre Analyse der »Politiken des Spiels« erstellen. Hierin sollen nicht inhaltliche Spielanalysen, sondern die politischen Strukturen im Zentrum stehen, die in reziproken (teils auch monodirektionalen) Beziehungen zu Spielen und Spielkulturen stehen. Innerhalb welcher rechtlicher, gesellschaftlicher und politischer Regeln und Normen und ihrer historischen Bedingtheiten findet das Spiel statt? In welchen Machtverhältnissen stehen die am Spiel beteiligten Akteur*innen von den Spieler*innen bis zu den Publisher*innen, von staatlichen Zensureinrichtungen bis zu den PR-Multiplikator*innen zueinander? Wie funktionieren Games-Branchen innerhalb von und zwischen unterschiedlichen politischen Systemen? Dabei soll explizit nicht nur das digitale Spiel, sondern alle möglichen Formen des Spielens sowohl in diachroner als auch in synchroner Perspektive betrachtet werden.
Weitere mögliche Themen sind:
- Infrastrukturelle Einhegungen
- rechtliche Rahmenbedingungen für die Gamesproduktion/-distribution/-konsum
- Strukturen, Praktiken und Akteur*innen der Spieleförderung
- staatliche ideologische Einflussnahmen auf Studios
- historische und politische Entwicklung von USK,PEGI, BPJM, etc.
- Geschichte und Entwicklung der Regulierung des Spiels (z.B. Glücksspiel-Debatte um 1800)
- Spiele als Erziehungsmittel in Lehrplänen und Bildungsprogrammen (z.B. Preußische Schulreform, religiöse Brettspiele in den USA, Oregon Trail)
- Diskursarenen
- Die aufklärerische Pädagogik und das Spiel
- Entstehung des digitalen Spiels zwischen Militärisch-Industriellem Komplex und Counterculture
- Games und Meinungsfreiheit (z.B. chinesische Einflussnahmen auf Inhalte und Praktiken)
- politische Debatten (eSport-, »Killerspiel«-, Sucht-Debatte)
- politische Vereinnahmungen von digitalen Spielen (z.B. bei öffentlichen Veranstaltungen oder in Wahlprogrammen)
- Spiel als politische und ideologische Größe (z.B. Huizingas »Homo Ludens« als Erwiderung auf der erstarkenden Faschismus in den 1930ern)
- Konflikte um (nationale) Identitäten (z.B. »Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands« vs. die Regierung von Bolivien)
- Spiele als Utopien (»Gamification« der Gesellschaft)
- Ideologische Hegemonialkämpfe auf Konsumentenebene
- Games und Terrorismus (z:B. der Anschlag von Halle, QAnon etc.)
- Fankulturen/-ideologien (Rechtsextremismus in den Foren von Spieleprovidern wie Steam)
- zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Spielkultur (z.B. »Kein Pixel den Faschisten«)
- Widerständige Formen der Spielaneignung (z.B. Langsamfahren als antikapitalistische Praxis in den 1920ern, Modding, Reviewbombing)
- Politische Selbstverständnisse auf Produktionsebene
- Selbstrepräsentationen von Developern als »(un)politische Studios« (Molle Industria, Ubisoft, etc.)
- Empowerment und Heteronomie von Akteur*innen in der Spielebranche (»#metoo«, Gewerkschaftsbildung, »Crunch Culture«, etc.)
Selbstverständlich sind wir für weitere Themenbereiche offen.
Die späteren Beiträge sollen sich in die drei Formate, Analysen, Miszellen und Interviews unterteilen. »Analysen« setzen sich in aller Tiefe mit einem Gegenstand auseinander, während »Miszellen« kurze, überwiegend deskriptive Annäherungen an ein Thema bieten. In Interviews sollen schließlich direkte Aussagen von politischen Akteur*innen, von Entwickler*innen und Publisher*innen, von Gesellschaftsvertreter*innen und Spieler*innen festgehalten werden. Bitte geben Sie in Ihren Abstracts explizit an, welches Format Sie einreichen möchten.
Bitte senden Sie bis zum 10. Januar 2022 ein Abstract von maximal 300 Wörtern an arno.goergen@hkb.bfh.chund tobias.unterhuber@uibk.ac.at. Für Interviews sollte festgehalten werden, wer der/die Interviewpartner*in ist/sind und worin ihre/seine Relevanz für die Thematik besteht. Bis zum 15. Februar 2022 erhalten Sie von uns Rückmeldung.
Arno Görgen und Tobias Unterhuber