Noch bis zum 31.3.2022 können für die neue Ausgabe Online-Zeitschrift Spiel|Formen Abstracts zum Thema „Krise“ eingereicht werden. Damit verbunden ist auch ein Autor*innenworkshop im Spätsommer/Herbst, in dessen Rahmen die Beitragsentwürfe besprochen werden sollen.
Games haben als „Krisenhobby“ an Bedeutung gewonnen – das gilt sowohl für Onlinespiele, die in Zeiten von Social Distancing gemeinsame Freizeitgestaltung ermöglichen, als auch für die Beschäftigung mit der Spielkonsole oder dem Brettspiel im familiären Wohnzimmer. Die zweite Ausgabe der Spiel|Formen nimmt diese neue Rolle spielerischen Handelns zum Anlass, das Thema “Krisen” aus der Perspektive der Spielforschung scharf zu stellen. Denn Beziehungen zwischen Spielprozessen und Krisenereignissen sind auf verschiedenen Ebenen wirksam: So können sich spielexterne Krisen auf Spiele auswirken oder in Spielen dargestellt werden, aber auch die Geschichte der Spiele, des Spielens und der Spielproduktion ist von Krisen geprägt. Vor allem ist Spiel – als Vorgang mit ungewissem Ausgang – selbst konstitutiv krisenhaft; Spiel kann etwa misslingen oder zu misslingen drohen, oft geht es um Gewinnen oder Verlieren.
So wie sich Funktion und Bedeutung von Einzelmedien gerade im Moment der Störung offenbaren, ist auch der Moment der befürchteten oder bereits eingetretenen Krise als Reflexionsfigur für die Spielforschung von großem Nutzen. Indem tatsächliche oder wahrgenommene Krisen in der Latenz gehaltene Problematiken manifest werden lassen, wirken sie – neben den unmittelbar durch sie ausgelösten Veränderungen – als diskursive Kristallisationspunkte. Krisen sind daher nicht nur als Phasen weitreichender Transformationen (oder Stabilisierungen) für die historische Spielforschung von Interesse. Die Beschäftigung mit ihnen schärft vielmehr den Blick für eine Vielzahl sozialer, kultureller, ökonomischer, rechtlicher, … Aspekte des Spielens, der Spielproduktion und der wissenschaftlichen Erforschung von Spielen, die auch außerhalb von Krisenzeiten von Relevanz sind.
Ein solches „Außerhalb“, die relative Abwesenheit kritischer Situationen, ist dabei nie von Dauer, garantiert doch bereits die wirtschaftliche Konkurrenz unter den Herstellerfirmen regelmäßig wiederkehrende Krisenmomente wie Studioschließungen, Personalabbau und die als „Crunch“ berüchtigten Überstunden vor der Veröffentlichung neuer Titel. Aber auch andere mit der Spielproduktion und -rezeption verbundene Felder werden von mehr oder minder schweren Krisen erschüttert, etwa wenn das Selbstverständnis Spielender zur Diskussion steht, ein Skandal die Fachpresse erschüttert oder Spielforscher*innen die Zukunft ihrer Disziplin bedroht sehen.
Spiele können, wie in der Corona-Pandemie geschehen, als außerhalb der Krise liegender Fluchtpunkt dienen, der sich wahlweise als eskapistisches Suchtmittel oder praktisches Werkzeug der Selbstsorge theoretisieren lässt. Über den persönlichen Bereich hinaus wird Spielen – insbesondere seitens der Verfechter*innen von Serious Games – das Potential zugesprochen, durch Aufklärung und Wissenstransfer bei der Bewältigung globaler Krisen helfen zu können. Gleichzeitig sind Serious Games selbst jedoch Teil einer Begriffskrise des Spiels: Sie fordern Spielbegriffe heraus, die Spiel in der Gegenüberstellung zum Ernst sehen. Georges Batailles Spielbegriff ist ein solches Beispiel – er sieht das Spiel als Exzess und damit als Mittel zur Bekämpfung eines zur Krise gewordenen Überflusses. Diese Funktion exzessiven Spielens befindet sich gegenwärtig allerdings selbst in einer Krise, ausgelöst durch den zunehmend zweckrationalen Einsatz von Spielen. Ebenso wird ein Spielbegriff in Abgrenzung zur Arbeit immer prekärer, indem mittels Gamification spielerische Elemente in die Arbeit eingeführt werden, während umgekehrt mit dem „Grind“ arbeitsähnliche Spielpraktiken an Popularität gewinnen. Dieser Diffusionsprozess wird jüngst von sogenannten „play-to-earn“-Geschäftsmodellen auf die Spitze getrieben, bei denen die zu schlecht bezahlten Arbeitskräften gewordenen Spieler:innen in NFT-und-Blockchain-basierten „Spielen“ ihren Lebensunterhalt – oder doch zumindest die Abonnementgebühren des Spiels – verdienen sollen.
Auch die Game Studies bleiben nicht von Krisen verschont, wie die soeben umrissene Begriffskrise illustriert. So lässt sich der mittlerweile zum Gründungsmythos erstarrte „Streit“ zwischen Ludologie und Narratologie als produktive – und möglicherweise inszenierte – Krise lesen. Und Marc Quellette und Steven Conway attestieren der gegenwärtigen Spielforschung, sich in einer ‚hausgemachten‘ Krise zu befinden, da das Fach sich methodologisch im Kreis drehe und durch eine mangelnde Bereitschaft zur Paradigmatisierung bei der weiteren Institutionalisierung selbst im Wege stehe.
Angesichts dieser Befunde erscheint eine eingehende Auseinandersetzung mit der Figur der Krise längst überfällig. Die zweite Ausgabe der Spiel|Formen lädt daher dazu ein, die Vielfalt krisenförmiger Phänomene, die in Spielen und um Spiele herum existieren, in den Blick zu nehmen.
Details
Abstracts (Umfang: 2000 Zeichen) für Beiträge können bis zum 31.3.2022 unter der Adresse redaktion@spielformen.net eingereicht werden. Die fertigen Artikel sollen eine Gesamtlänge von 30.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) nicht überschreiten. Die Publikation der Ausgabe ist für Januar 2023 geplant.
Es ist geplant, die Beitragsentwürfe im Rahmen eines Autor*innenworkshops im Spätsommer/Herbst zu besprechen. Dieser kann in Abhängigkeit von der pandemischen Lage und der verfügbaren Finanzierung per Zoom oder vor Ort in Siegen stattfinden.
Der von den Spiel|Formen zugrunde gelegte Spielbegriff ist nicht auf digitale Spiele beschränkt. Einreichungen zu non-digitalen Spielen und spielförmigen Handlungen sowie spielerischen Phänomenen im weiten Sinne sind willkommen. Da das Journal online erscheint, besteht die Möglichkeit, auch Video- und Audioarbeiten auf der Website der Ausgabe zu präsentieren. Auch Spiele, Spiel-Experimente oder künstlerische Arbeiten können angenommen werden.
Studentische Arbeiten sind ebenfalls willkommen, die deutlich markiert, aber zugehörig veröffentlicht werden.
Nachfolgend eine (keinesfalls erschöpfende) Liste beispielhafter Themenfelder
- Moralische & gesundheitliche Krisen Sucht / Killerspieldebatte / …
- Diversitäts- oder Ausschlusskrisen Blizzard-Activision-Skandal / #Metoo / Gamergate / …
- Begriffliche Krisen/Identitätskrisen Serious Games / Gamification / Begriff “Spiel” / Death of the Gamer / Spiel als Kunst / Unterhaltung vs. Spiel als Wirtschaftsprodukt / …
- Ökologische Krisen Ökologie im Spiel / Energieverbrauch / materielle Produktion der Geräte / …
- Ökonomische Krisen Crashes der Videospielbranche (z.B. 1977, “Atari Shock” 1983) / Arcade-Sterben / File Sharing / Konzentrationstendenzen (Microsoft und Sony 2022) / VR-Winter / Disruption durch digitale Vertriebswege / Hype-Zyklen / Gewerkschaftliche Organisation (und ihre Unterdrückung) / Abhängigkeit der Spielepresse von Werbung / …
- Rechtliche Krisen – Glücksspielgesetzgebung (historisch: Games of chance/games of skill; jünger: Lootboxes), Chinesische Spielzeitgesetzgebung / …
Webseite der Spiel|Formen: https://www.gamescoop.uni-siegen.de/spielformen/index.php/journal
Beitragsbild: „What Atari buried, beyond E.T.“, Matt Lyons/GameGavel.com. https://www.flickr.com/photos/henofthewoods/14036097792/